Ein Freund von uns hat den interieuren Traum, eines Tages jedes Zimmer seiner Wohnung in einem anderen Stil einzurichten. Also das Schlafzimmer im Pop-up-Style der 60er, die Küche im skandinavischen Landhausstil, das Bad in Industrial Design, das Gästezimmer minimalistisch, das Kinderzimmer im Jugendstil, das Arbeitszimmer im Kolonialstil. (Die Frage nach einer Wohnung mit 5 Zimmern und deren Bezahlbarkeit in Berlin wird erstmal außer acht gelassen.*)
Jedenfalls so. Oder anders. Oder so ähnlich.
So weit, so nachvollziehbar.
Das Wohnzimmer allerdings wünscht er sich sehnlichst in:
Eiche-Rustikal.
Mit Schrankwand und allem was dazugehört. Gelsenkirchener Barock eben.
Wow.
Wikipedia sagt:
„Die Wortschöpfung Gelsenkirchener Barock fand vermutlich in den frühen 1950er Jahren Eingang in die auch heute noch gebräuchliche deutsche Alltagssprache. Er ist kein akademischer Stilbegriff, sondern vielmehr dessen Persiflage“
Und weiter:
„Als durchweg anonyme Massenware, deren formale Elemente aus Versatzstücken beliebig zusammengesetzt werden konnten, kennen die so bezeichneten Möbel keine herausragenden Entwerfer […]. Wollte man Gelsenkirchener Barock dennoch stilkundlich auffassen, könnte man ihn als Retro- oder Neo-Stil ohne großen ästhetischen und finanziellen Wert beschreiben, zumal er im Wesentlichen nur eine industrielle Wiederauflage eines ebenfalls schon eklektischen Historismus darstellt, der seinerseits nur nachahmte, ohne besonders eigenständig und innovativ zu sein.“
„Aus diesem Umstand erklärt sich die überwiegend negative Konnotation des Begriffs. In der spöttischen, ironischen Verknüpfung des als proletarisch geltenden Berg- und Stahlarbeitermilieus von Gelsenkirchen mit einer bedeutenden europäischen Stilepoche äußert sich eine gewisse intellektuelle Geringschätzung gegenüber einem Phänomen der Alltagskultur.“
„Der Ausdruck Gelsenkirchener Barock ist ein volksmündlicher, liebevoll-ironischer bis kritisch-despektierlicher Kommentar zu einer Design- und Einrichtungskultur, die man als altmodisch, spießig, geschmacklos und überladen charakterisieren möchte. In der Zeit, in der der Begriff geprägt wurde, standen die gemeinten Objekte in starkem Gegensatz zu den jeweils zeitgenössisch modernen und avantgardistischen Möbeln. Er muss deshalb auch als ein subjektives, geschmäcklerisches Werturteil zu einer als konservativ und rückwärtsgewandt wahrgenommenen Weltanschauung verstanden werden.“
Begeisterung klingt anders, nicht wahr?
Allerdings geht’s auch anders. Und hier ist der Beweis:
Das ist Henry.
Oder genauer: Henry des Étoiles.
Nix mehr mit „Heinrich! Mir graut’s vor dir.“ Nach seinem kompletten Makeover hat er seinen neuen adligen Namen mehr als verdient.
Und sollte er es je in Erwägung ziehen, seine Biografie zu schreiben, würde er ihr wohl den Titel geben: „EICHE RUSTIKAL – und wie man sie besiegt“
Er endete beinah als ausgedient im Müll. Aber dann kamen wir um die Ecke, nahmen uns seiner an und siehe da…auch rustikale Eiche kann bezaubern – wenn man von ihr nichts mehr sieht!
Es bedurfte nur einige Schichten Lack und einen wunderschönen Polsterstoffrest und schon strahlt Henry mit den Sternen um die Wette!
Henry hat sein neues Zuhause bereits gefunden. Seine Freunde jedoch stehen noch in erwartungsvoller Haltung auf ein eben solches Glück in der Warteschlange.
Mein sehnlicher Wunsch ist es ja, demnächst eine komplette Gelsenkirchener Barock- Wohnzimmer-Schrankwand umzugestalten.
Wenn ihr uns also unterstützen wollt, dann kauft einfach all unsere Möbel, damit wieder Platz in der Werkstatt geschaffen ist, um meinen kleinen interieuren Traum zu verwirklichen.
Wir danken Euch schon mal im Voraus!
Es sei denn, Ihr seid jetzt erst auf den Geschmack gekommen: eine Wohnwand in Eiche Rustikal – „Serie Rheinsberg“ genannt – gibts heute noch immer bei verschiedenen Versandhändlern für schlappe 1800 Euro zu erwerben…
Die Qual der Wahl.
*“deren Bezahlbarkeit in Berlin“: Worte, die ich noch vor einigen Jahren nie für möglich gehalten hätte!